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Bockhorner Zeitzeugen

Bockhorner Zeitzeugen

Das Essen kommt aus dem Supermarkt, die Kleidung aus dem Kaufhaus, die Musik von MP3 Playern. Das war nicht immer so!

Begeben Sie sich mit uns auf eine ereignisreiche Zeitreise in die Lebens- und Arbeitswelt unserer bäuerlicher Vorfahren. Die historischen Niederschriften hat der damalige, mit der Gemeinde Bockhorn verbundene Gemeinde-Hauptschullehrer, Herr Karl Heilmaier, niedergeschrieben.

Mit der Veröffentlichung versuchen wir für Sie diese Zeit lebendig zu machen und laden Sie ein mit uns auf die historische „Reise“ zu gehen. Die ausführlichen Niederschriften beginnen im Juli 1948 – erzählen jedoch rückblickend ab Juni 1945. Um die Erzählungen anschaulich zu gestalten, sollen sich in Fotografien Kontinuität und Wandel längst vergangener Arbeitswelten spiegeln. Neben historischen Ereignissen spielen das Vereinsleben sowie Heimat- und Familienfeste eine wichtige Rolle.

 

Wir möchten mit Ihrer Zusammenstellung von Aufnahmen aus Archiven, Sammlungen und Privatbesitz die „alte Zeit“ vor dem Vergessen bewahren. Die Zeitreise soll beginnend in den 40er Jahren oder auch früher, bis in die 60er Jahre für ehemalige, jetzige und künftige Bockhorner nach und nach präsentiert werden.

Darstellung einer dreifachen Mordthat, wegen welcher Sebastian Pointner von Emling den 3. Juli 1830 zu Erding enthauptet wurde.

 

Aus dem Bayerischen Volksfreund, Sonntagsblatt von 1830

 

Am 3. Juli wurde Sebastian Pointner von Emling, (Landgerichts Erding) mit dem Schwerte hingerichtet. Wir gehen nach der amtlichen Darstellung seiner mehrfachen Verbrechen Folgendes im Auszuge.

 

Pointner, geboren am 13 Januar 1810, trieb schon im siebzehnten Jahre neben dem Müller- auch das Diebshandwerk, (bei ersterem letzteres vielleicht schon viel früher, doch dieß ist nur unsere Vermuthung). Das Strafarbeitshaus, das er in Folge eines Diebstahlverbrechens beziehen mußte, besserte ihn nicht. Nach seiner Freilassung rissen ihn Vergnügungs- und Verschwendungssucht zu neuen Verbrechen hin.

 

In der Nacht vom 12. Aud den 13. September 1829 gedachte er den Müller zu Grafing, Bartholomäus Kiefer in Geldrequisition zu setzen. Den Müller aus dem Bette und Hause zu laden, stellte er das Mühlenrad, der Müller erscheint und wird nach einigen Umarmungen, die kalt und herzlos gewesen seyn mögen, oberhalb des Mühlrechens ins Wasser geworfen.

 

Zwar rafft sich der Müller wieder auf, wird aber zum Zweitenmale ins Wasser gestürzt, schwimmt durch den Rechen hindurch – nicht daß man sich unter dem Müller einen Häring vorstelle, sondern weil einige Spritzel ausgebrochen waren, – wird vom Mühlenrad gerädert, und des anderen Morgen todt im Wasser gefunden. In der geöffneten Wohnstube entwendete Pointner eine Taschenuhr, einiges Geld und was ihm sonst unter die Hand kam.

 

Ein abermaliger Überfluß an Geldmangel führte Pointner nach Taufkirchen, um den Müller Franz Decker zu einem Geldvorschuß zu zwingen – mit Müllern scheints hatte es der Müller gerne zu thun. Das Einstellen des Mühlrades mußte wieder denselben heraushohlen. Pointner versetzt ihm Stiche in den Unterleib und Kopf. Währen sich der Müller in den Mühlschuß hinabließ, gewann Pointner Zeit, 36 Stücke Frauenthaler, eine Uhr und eine Hirschhaut zu sich zu nehmen. Am folgenden Tage starb Decker.

 

Noch gestand Pointner, daß er eine Magd Maria Ellinger erstochen habe. Pointner hatte schon durch die zwei vorgenannten Verbrechen den Tod verdient, und da er nur Einen Kopf zum Abschlagen hatte, so gieng er wegen der letztern Verbrechens unbestraft aus.

 

So sehr man anfangs dahier gegen den Deliquenten Pointner wegen seiner abscheulichen Verbrechen indigniert war, so allgemein hatte er sich durch sein reuevolles Benehmen allenthalben große Theilnahme erworben. Er war ein wohlgebauter Jüngling von angenehmen Aeussern und noch in der schönsten Blüte seiner Jahre.

 

Durch die Mildthätigkeit des Volkes hatte der Unglückliche ein hübsches Sümmchen Geld erhalten, welches er zu heil. Messen für die armen Seelen der von ihm ermordeten Menschen verwendet wissen wollte. Er bat Gott und Menschen reuig um Vergebung und besonders rührend war am letzten Tage seines Lebens der Abschied von seinen Eltern und Geschwistern. Mit thränenden Augen und lautem Schluchzen umarmte er die Seinigen, und auf den Knieen liegend flehte er um Verzeihung für die Schmach, die er ihnen durch seine Verbrechen zugefügt hatte. Pointner wollte eher sterben, allein die Vorbereitungen zu seiner Hinrichtung erlaubten keine Abänderung mehr. Bis zum Gange nach dem Armesünderstuhle blieb er standhaft, aber auf dem Stuhle verließ ihn mit Einemmale die Kraft, sein Kopf sank ohnmächtig zurück und erschwerte dem Scharfrichter die Exekution, welche ihm etwas mißlang.

 

Des armen Sünders letzte Stunden

Sebastian Pointner, des dreifachen Raubmordes schuldig, war im Anfange und noch im Laufe der Untersuchung eben so hartnäckig und wiederspenstig, als gemüthlich, reuig und ergeben in seinen letzten Stunden. Selbst die wohlberechnete Ueberraschung gleich bei seiner Festsetzungkonnte ihn nicht erschüttern.

 

Die Leiche des von ihm gemordeten Müllers, schon 14 Tage lang in die Erde versenkt, wurde ausgegraben. In der Mühlstube, genau an jenem Platze, wo der Mord verübt ward, stellte man den Körper nakt, die klaffende Wunde an der Seite, auf. In der schauerlichen Mitternachtsstunde wurde der Mörder in die bekannte Mühle vor den Ermordeten hingeführt. Der Angeschuldigte blieb kalt bei diesem Anblicke; er antwortete trotzig und frech.

 

In der Folge der Untersuchung durch mehrere überführende Umstände eingeengt, bekannte er den einen Mord; nach diesem Bekenntnis folgte die freiwillige Angabe eines zweiten, und zögernd erst auf Zureden seines Gewissensrathes auch das Geständnis eines dritten Mordes. Der Inquisit schloß sein Gewissen auf dem Gerichte und dem Priester.

 

Falsche Schaam, daß ihm sein Vater einiges Geld zum Wirthshausbesuche versagte, bessere Kleider verweigerte, gleich andern Jünglingen des Dorfes sich zu zeigen, und der höhnende Spott dieser jugendlichen Gefährten brachten ihn zuerst dahin, seinem Vater, seinen Freunden 6, 12 Kreuzer und dann auch mehr zu entwenden.

 

In früher Jugend hatte ihn ein Mann von hohem würdigen Berufe irregeführt, mißbraucht und verdorben durch Lehre und That. „hätte mich“ so sagte der junge Unglückliche im Tone der traurigsten innern Empfindung, „dieser Herr zum Guten geführt und geleitet, wie zum Bösen, ich wäre ein braver und nützlicher Mensch geworden; mein Herz war gut und unverdorben, und ich war mir einiger Fähigkeiten und guten Anlagen selbst bewußt.“

 

Ein Kirchendiebstahl brachte ihn in das Zuchthaus. Größeres Unglück, meinte er, hätte ihn wohl nicht treffen können. Zwei ruchlose Verbrecher gesellten sich zu ihm; diese brachten ihm die schlechtesten, verworfensten Grundsätze bei. Unter Thränen klagte er sich an, ihnen Gehör gegeben, ihren Meinungen und Lehren gefolgt zu seyn.

 

Der erste Mord, den er begangen, erfüllte ihn mit Schauder und Schrecken. Entsetzen hatte ihn ergriffen; nie mehr wollte er eine solche That begehen. Aber Hang zum Wohlleben und das Verlangen nach Geld führte ihn zum zweiten Morde. Den vollbrachte er schon mit kälterem Blute und mit weniger Reue. Die dritte mörderische That kostete ihm nur leichten Entschluß; er konnte sie mit Gleichmuth vollbringen, ohne Bedenken, ohne weitere Empfindung.

 

So schnell kann sich das jugendliche Herz verhärten, sobald die Stimme des Gewissens schweigt! Solche Schuld verwirket das Leben. Das Todesurtheil wurde über den Mörder ausgesprochen. Der Verbrecher wurde in den Gerichtssaal geführt, das Urtheil ihm zu verkünden. Der Saal war mit Personen aus dem Orte, der Gegend und der Ferne angefüllt. Der Unglückliche trat ein, ein junger Mann, heiteren Blickes, von offener, hübscher Gesichtbildung, gut und anständig gekleidet. Sein Blick schweifte über die Versammlung hin, dann machte er zwei kurze Begrüßungen, indem er den Kopf ein wenig neigte. Er wurde an den Platz gewiesen, an welchem er sich setzen konnte.

 

Der Richter, der die Untersuchung geführt, edel und ausgezeichnet als Mensch und Beamter, sprach den Schuldigen auf folgende Weise an: „Sebastian! Ihr könnt aus der ungewöhnlichen Versammlung, die Euch umgiebt, wahrnehmen, daß auch eine ungewöhnliche, und wichtige Verhandlung Statt finden wird. Faßt Euch, und bereitet Euch vor. Das Urtheil ist über Euch gesprochen.“

 

Das Urtheil wurde abgelesen; diesem folgten die Entscheidungsgründe. Wie letztere begannen, verhüllte der Verurtheilte sein Gesicht, und weinte Thränen des Schmerzes und der Reue. Nicht das Urtheil wie er später sich mittheilend aussprach, aber die Entscheidungsgründe, die ihm seine Thaten so umständlich vorhielten, griffen ihm das Herz an.

 

Nach dem Ablesen sammelte er sich wieder, dann sprach er: „ Es geschieht mir recht, ich muß sterben, ich kann, ich darf, ich möchte nicht mehr leben, ich gebe das Leben willig und gerne, aber das Elend, das ich über die Meinen und Andere gebracht, die Schmach, die ich meinen Eltern bereitet, dieß kümmert mich tief!“

 

Jetzt richtete er seinen Blick auf einen Untersuchungsrichter, und rief mit ganz bewegter Stimme aus: „Herr Assessor! Ich habe Ihnen große Mühe, viel Verdruß gemacht; verzeihen Sie mir!“ er sprach diese Worte in einem Tone, der alle Anwesenden ergriff und rührte. Der böse Eindruck der Abscheu, den die Aufzählung der bösen Thaten in den Entscheidungsgründen bei den Anwesenden erzeugt haben mochte, wurde durch die besänftigten Worte des Verurtheilten unterdrückt, und Fluch und Verwünschung lösten sich auf in Mitleid und Bedauern. Der königliche Assessor antwortete edelmüthig und beruhigend. Er eröffnete sodann, daß das Urtheil in 24 Stunden vollstreckt werden sollte, doch daß der Vollzug, wenn er es wünsche, auch erst nach drei Mal 24 Stunden geschehen könnte. Der Unglückliche schien diese Eröffnung nicht wohl verstanden zu haben; sie wurde ihm wiederholt und erklärt. Es wäre ihm ganz gleichgültig gewesen, gleich binnen den ersten 24 Stunden zu sterben; allein man stellte ihm vor, daß die Zeit doch etwa zu nutzen wäre, sich mit Gott, mit der Welt, und mit sich selbst zu versöhnen. „Ja,ja,“ entgegnete der so Belehrte, „ das will ich, ich will noch drei Tage leben.“ Die Anwesenden entfernten sich hierauf; der zum Tode Bestimmte wurde nicht mehr in seinen engen Ketten zurückgebracht; es wurde ihm ein heiterer Aufenthaltsort gegönnt, und er, frei von Fesseln, bewacht.

 

Der würdige Hr. Benefiziat Noebl war allein bei dem Verurtheilten zurückgeblieben. Schon während der Haft war dieser Mann der Weihe dem Unglücklichen ein tröstender und rathender Freund, und erlangte und verdiente sein ganzes Zutrauen. Die Tröstungen der Religion und die verständigen Lehren hatten den Gefangenen mit einer Standhaftigkeit begabt und mit einer Reue erfüllt, die selbst den Tröster erbaute. Bevor der geistliche Herr den Verurtheilten nun verließ, bat dieser, „Den guten Fridolin,“ ein Buch, welches ihm der Hr. Benefiziat zur Erheiterung und Lehre gegeben, der Mutter zu schenken, er habe seinen Namen eingeschrieben, die Mutter möchte seinen Brüdern, besonders dem ältern diese Erzählung zu lesen geben. Er hatte noch eine Bitte, seinem Herrn Pfarrer in Pockhorn zu schreiben und ihn zu bitten, ihn ein Mal zu besuchen, und zu den Eltern zu gehen, sie zu trösten, ihnen zu entrichten, daß er sie viel tausend Mal um Verzeihung bitte; er sterbe bekehrt, reuig und in Gott ergeben.

 

Man machte dem Verurtheilten bekannt, daß man alle billigen Wünsche, die er hege, erfüllen werde, daß er verlangen solle, was er zu essen und zu trinken begehre. Er bat für sich um ein Glas Wein und etwelche Krebse; dann bat er auch, jedem seiner Mitgefangenen eine Maaß Bier und eine Portion Kälberbraten reichen zu lassen, jenem aber, der den Kerker mit ihm getheilt, ein gebratenes Huhn. Man bewilligte ihm diese Bitten. Mitleid und Erbarmen zierten und füllten bald seinen gefangenen-Aufenthalt mit Blumen und Blumenkörben, mit allerlei Geschenken, mit verschiedenen Speisen, Backwerk und köstliche Torten. Nun im Überflusse allen Dessen, was ihm früher so wünschenswerth war, genoß er nur wenig und lebte sehr mäßig. Als der Assessor zu ihm eintrat, und ihn so begabt sah, sprach jener freundlich zu ihm: „ Nun Sebastian! Da geht es ja her, wie zur Hochzeit in Galiläa?“ Herzlich konnte der Unglückliche über den Einfall lachen.

 

Des Nachmittags gieng der Hr. Benefiziat wieder zu den Verurtheilten. Dieser begann jetzt die Verteilung der Geschenke, und bat recht dringlich, die Vermächtnisse seinem Wunsch nach zu vergeben. Dieß scheint zu bezeugen, daß der bessere Sinn, das menschliche Gefühl in ihm wieder erwacht waren.

 

Eine Bürde belastete des Reuigen Gewissen; er sehnte sich nach der Verzeihung der durch ihn so unglücklichen Wittwe; vertrauend bekannte er, welche Erleichterung des innern Vorwurfs die Verzeihung der jammernden Frau ihm gewähren würde. Da machte sich einer dieser wahren Seelsorger schnell auf den Weg zu dem Hause des Unglücks.

 

Wenn auch unter einem Strome von bitteren Thränen, doch willig, sprach die Wittwe das Wort der Verzeihung aus. Diesen Trost, diese Beruhigung brachte der Geistliche dem Reuigen zurück. Er bereitete sich, und empfing das heilige Abendmahl auf die erbaulichste Weise.

 

Der Scharfrichter und seine Knechte besuchten ihn, um ihn mit dem Auge zu messen, und zu beobachten; sie richteten einige beruhigende Worte an ihn. Wie sie sich wieder entfernten, fragte er mit lächelndem Munde seinen geistlichen: „Wer sind diese?“ Der menschenfreundliche Priester, den Starckmuth des ihm Vertrauenden bewundernd, konnte nicht sprechen; er drückte ihm nur die Hand, und wurde verstanden.

 

Nachmittags kam einer der jüngeren Brüder des Verurtheilten. Länger Zeit unterhielt er sich mit ihm, gab ihm sehr passende Lehren und die eindringlichsten Ermahnungen. Er wählte mehrere gute Gerichte und süße Speisen aus, und sandte sie durch den Bruder seiner lieben, guten Mutter zu. Eine harte Stunde stand ihm bevor. Der Abschied von den Seinen, das letzte Lebewohl! Die Eltern, die Geschwisterte kamen, es war um halb acht Uhr. Nur der Hr. Benefiziat war Zeuge dieser erschütternden Scene.

 

Der unglückliche Sohn stürzte vor den noch unglücklicheren Eltern nieder; auf den Knieen unter den heftigsten Schmerzen und der bittersten Reue bat er sie um Vergebung, um Verzeihung seiner Thaten und der Schande, die er über sie bringe. Er umfaßte die Kniee seiner Mutter, und bat und flehte, daß man das tiefste Bedauerniß empfinden mußte. Er bat auch seine Eltern, sorgfältig über die anderen Gescheister, vorzüglich aber über den einen seiner Brüder zu wachen, und sie zu warnen, ja ihm nicht nachzufolgen. Die Eltern segneten den reuigen Sohn.“ Um das bitte ich  Euch noch,“ rief er, „ersetzet so viel als möglich den Schaden, den ich durch meine Verbrechen verursacht habe.“ Da konnte sich die Mutter nicht mehr halten. Sie fiel ihrem Sohne um den Hals. „Alles soll geschehen,“ tröstete sie ihn, „und wenn Haus und Hof darüber zu Grunde gehen, weil Du nur reuig Dich bezeigst, und so schön bekehrst.“ Froh fühlte sich der geistliche Zeuge, als dieser mitleidswerthe und herzzereißende Auftritt sein Ende erreicht hatte.

 

In dieser Nacht erweckte ihn das Gewitter. Er sagte: „Nun so höre ich auch noch ein Mal donnern; ich weiß es, Gott ist über uns.“ Nach dieser einfachen Bemerkung schlief er ruhig wieder ein. Auch in der letzten der Nächte versagte dem Verurtheilten der Schlaf die wohlthuende Vergessenheit irdischen Kummers nicht.

 

Am 3. Juli, dem verhängnisvollen Tage, fand sich der geistliche Tröster und Freund zeitig ein. Schon war der Verurtheilte beschäftigt, sich zum letzten Male anzukleiden. Auch Herr Pfarrer von Pockhorn kam zum letzten Besuche. Er war überrascht solchen Gleichmuth bei seinem Pfarrkinde zu gewahren.

 

Als diese hochwürdigen Herren und der zum Tod Bereitete noch im ganz traulichen Gespräche beisammen waren, trat der königl. Assessor ein, und mahnte, daß nun die letzte Stunde des Gerichts gekommen. Der, dem diese Mahnung galt, nahm unter Dankesbezeigung herzlichen Abschied.

 

Vor dem Rathhause, von welchem herab sein Richter ihm zuwinkte, blickte er mit lächelnder Dankesmiene zu demselben auf, daß dieser Blick Niemand entging, Jedermann rührte. Es war ganz nach seinem Wunsche, daß eine so große Menge von Zuschauern sich einfand. Er wollte als Beispiel und als Warnung dienen. Auf dem Wege zum Tode blieb seine Fassung und sein Vertrauen nach Oben gleich groß. Er genoß ein einziges Mal ganz wenig Wein. Vor der Richtstätte angekommen, sprang er behend vom Wagen, und trat in das enge Gemach unter dem Richtboden. Der Scharfrichter bemerkte, er müsse ihm die Hände nun binden; er entgegnete nur: „Thut immerhin, was ihr thun müßt.“ Er übte sich nun in der verlangten Haltung, und fragte, ob er so recht sitzen werde. Standhaft ging er die Treppe hinauf.

 

Auf das letzte Trostwort des Geistlichen antwortete er: „Ich gehe zu meinem Gott, ich fürchte mich nicht!“ Willig und entschlossen, nahm er den Platz in dem Richtstuhle, und empfing den tödlichen Streich. So gab der Gerichtete das Beispiel wahrer Reue und Ergebung, und sühnte im 20. Lebensjahre am 3. Juli in Erding, mit seinem Blute, was er verbrochen, und was er bereut.

 

© Christian Prang 2020

Am 27. April 1945 hatte der Generalstab einer deutschen Truppe in Hörgersdorf Quartier genommen. Im Expositurhaus nächtigte zweimal ein preußischer Hauptmann. Sonntag, den 29. April zog diese Truppe wieder ab und zwar nach Süden. Von Norden und Westen drängten bereits die Amerikaner heran bis vor die Mauern Münchens. Es hieß, daß jede Stadt und jeder größere und kleinere Ort verteidigt werden müsse. Der Volkssturm hatte zwar keine Waffen und unter sich die geheime Losung ausgegeben, daß auf gar keinen Fall ein Schuß auf den Feind abgegeben werden dürfe, aber es ging das Gerücht, daß zur Verteidigung unseres Gebietes ca. 60.000 Mann SS-Truppen bestimmt seien. Wenn das Wirklichkeit geworden wäre, so hätte dies unseren Untergang bedeutet. Darum herrschte in diesen Tagen eine sehr gedrückte Stimmung. Viele haben wertvolle Habseligkeiten vergraben oder eingemauert, und alles fragte sich: „was wird werden?“ Das hügelige und waldige Gelände wäre ja zum Kriegführen wie geschaffen, und zudem ist auch schon früher viel gesprochen worden, dass sich der Endkampf in diesem Teile Bayerns abspielen werde. Auch hörte man Tag um Tag stärkeres Artilleriefeuer aus der Gegend von München. Doch die Gefahr ging glücklich vorüber.

Am 30. April wurde Erding von den Amerikanern eingenommen nach einigem heftigen Kampf mit SS-Truppen.

1.Mai Vormittag: ununterbrochenes Dröhnen und Knattern, das immer näher rückte. Nachmittag gegen 4 Uhr hiess es im Dorf „Die Amerikaner sind da“ und schon rollten gewaltige amerikanische Geschützpanzer herein. Alles war zur rechten Stunde! mit der weissen Fahne beflaggt worden, auch der Kirchturm. Alles stand schweigend vor den Häusern (mit Ausnahme von ein paar Personen, die in würdeloser Weise den einziehenden Amerikanern zuwinkten und zujubelten und Blumen streuten!) Der Bürgermeister Alexander Baumgartner von Hörgersdorf, zugleich Ortsgruppenleiter und fanatischer Nationalsozialist, wurde von der Bevölkerung gedrängt, den einziehenden Amerikanern entgegenzugehen und die Ortschaft zu übergeben; das geschah auch innerhalb des Ortes, so dass im Ort selbst kein Schuss fiel. Jedoch in allernächster Nähe, nämlich im Schraffstettener Wald spielte sich ein heftiges Gefecht ab: versprengte SS hatten sich im Walde versteckt und griffen die näher kommenden amerikanischen Panzer mit Maschinengewehren und Panzerfäusten an. Die Amerikaner aber feuerten aus ihren Panzerkanonen und Pakgeschützen auf die Angreifer. Dabei wurde auch der Stadel und die Scheune des Anton Schweiger von Schrafstetten in Brand geschossen, welche auch völlig niederbrannten mit Ausnahmen des Wohnhauses; aber auch dieses erhielt in der Mauer über der Stube einige Pakgranaten, wobei das ganze Zimmer samt Einrichtung zerschlagen wurde. das Vieh wurde während des Gefechtes aus dem brennenden Haus freigelassen. Wie durch ein Wunder gab es keine Verluste an Menschenleben. Nachdem noch mehrere Tage in den umliegenden Wäldern SS versteckt lagen, konnte auch 2 Tage lang dem Brandleider keine Hilfe von hier aus gebracht werden. Auch das Haus von Gebhard Neumeier in Hörgersdorf erhielt in der Giebelmauer 2 Pakvolltreffer, welche umfangreiche Löcher ausrissen.

Im Laufe des Nachmittags und Abends rollten noch eine große Menge schwerer amerikanischer Panzer von Erding her über Ferteln-Windham-Köchlham! denn überall hielten sich bewaffnete SS-Soldaten auf.
 
2.Mai: In der Nacht vom 1. zum 2. Mai war eine große Anzahl amerikanischer Truppen mit schweren Kraftwagen in den Ort eingerückt; die Mannschaft hat sich in den verschiedenen Häusern Quartier gesucht. In einem Hause wurden die 2 verheirateten Töchter eines hiesigen Bürgers (Riepl Schreiner, geschehen im Bichlmaierhaus!) öfters vergewaltigt, jedoch suchten diese Frauen absichtlich die Gefahr selber auf. Diese Truppen zogen am gleichen Tage wieder ab, und wurden von den anderen abgelöst, welche sich nun ungefähr 10 Tage aufhielten. Dabei musste der Kaserbauer Johann Winkler sein Haus für die Amerikaner zur Verfügung stellen. Auch in Maierklopfen liessen sich zur selben Zeit Truppen der Amerikaner nieder, ebenso auch in Eschlbach, wo überall eine sogennante Kommandantur vorübergehend errichtet wurde. In Maierklopfen wurde zu diesem Zweck das Haus des Gastwirts Anton Obermaier in Beschlag genommen, ebenso das Haus des Sebastian Posch und das Anton Lohner; in Eschlbach das Haus des Andreas Obermaier, Elas. In Maierklopfen wurde besonders beim Gastwirt, der mit seiner ganzen Familie für diese Zeit ausziehen musste und beim Strohmeier Unterkunft fand, viel geplündert und vernichtet, sowohl an Uhren, Bierkrügen und Küchengeräten als auch an Wäsche und Kleidern! Leider hatten die Amerikaner den noch anwesenden Polen und Ukrainern erlaubt nach Wahl zu stehlen und zu plündern, was diese auch bereitwillig und ausgiebig besorgten. Auch Möbel wurden auf diese Weise in mutwilliger und boshafter Art beschädigt und zugrunde gerichtet.

Am 5. Mai abends wurde von amerikanischen Soldaten, wie 3 Nachbarn aus verschiedenen Richtungen aus beobachtet haben, das Expositurhaus mit Gewalt erbrochen, währen die Insassen eben in der Maiandacht waren. Die Amerikaner erkletterten den Balkon über der Haustüre, sprengten die Türe zum Innern auf, und durchsuchten, wie an den Spuren zu sehen war, alle Zimmer; nahmen jedoch ausser einem Schlüssel nichts weg, und entfernten sich wieder nach hinten durch ein Fenster, an dem sie 2 Fensterstangen mit Gewalt entfernten. Eine Beschwerde am nächsten Tag beim Ortskommandanten hat weiter nichts ergeben, als die Erwiderung: die Deutschen hätten es ja auch überall so gemacht, und die Zusicherung es werde das nicht mehr geschehen.

Währen dieser Zeit wurde auch der bisherige Bürgermeister abgesetzt und als Ortsgruppenleiter auch verhaftet und fortgeschafft. 2 Amerikaner erschienen daraufhin im Expositurhaus und teilten dem Expositus das mit; zugleich ersuchten sie ihn, er möge ihnen verlässige Personen bezeichnen, welche als Bürgermeister in Frage kommen könnten. Für die hiesige Gemeinde wurde nun nach einiger Zeit auf Vorschlag des Expositus der Bauer Leonhard Tremmel von Uttenberg als Bürgermeister aufgestellt und vom neuen Landrat in Erding genehmigt.

Hörgersdorf, den 23.07.1945
P. Astner

Nach einem Bericht des Expositus Pfarrer Peter Astner aus Hörgersdorf, Pfarrer ab dem 01.02.1938
(Rechtschreibung, Wortwahl und Satzzeichen original übernommen)

© Christian Prang 2020

Am Freitag, den 22. September 1944, mittags nach 12 Uhr erfolgte ein feindlicher Fliegerüberfall auf das kleine Eschlbach; es wurden mehrere Splitterbomben abgeworfen; getötet wurde der französische Kriegsgefangene Luis Reveroy neben dem Korbersohn, da er Deckung im nahen Walde erreichen wollte, er hat als Kriegsgefangener bei dem Korberbauer die Arbeit im Kuhstall verrichtet; er war fleißig, zuverlässig, bei den Bauern beliebt; ebenso bei seinen Kollegen; er hat Jahre bei dem Korberbauern gearbeitet. Zur Beerdigung am Sonntag, 24.9.44 kamen sehr viele kriegsgefangene Franzosen von der Nachbarschaft mit Blumensträußen, welche das Grab zudeckten; auch viele andere Leute aus der nächsten und fernen Umgebung waren anwesend. Durch Splitter wurden auch verletzt die 2 Korberbauerssöhne Jakob Hackl 16 Jhr. u. Michael Hackl 11 Jhr.; jeder am Fuß, ferner die Mesnertochter Monica am Arm.

 

Diese drei kamen in das Krankenhaus Erding zur Behandlung. Der Elasbauer Andreas Obermaier hat durch die Splitterbomben 17 Stück Vieh verloren. Die Tiere waren zum Teil auf der Weide, zum Teil im Stall, darunter waren zwei junge schöne Pferde. Die Korberbäurin Lidwina Hackl hat verloren einen schweren Ochs. Die Mesnerwitwe Walburga Schneider hat 2 Kühe verloren. Die Dächer waren durch die Splitter mehr oder weniger durchlöchert und zerbrochen; es gab sehr viele zerbrochene Fensterscheiben, besonders bei Elas u. beim Mesner u. beim Korberbauern u. auch im Pfarrhof.

 

Aufgeschrieben von Expositus Astner, Hörgersdorf. Jakob Hackl erzählte viele Jahre später, dass der getötete Franzose nach dem Krieg von Eschlbach nach Frankreich überführt wurde.

 

© Christian Prang 2017

Der Autor hat zu Lebzeiten umfassende Kenntnisse in seinen vielen Geschichten über die Lebens- und Arbeitswelt unserer bäuerlichen Vorfahren bewiesen. Der 2005 im 87. Lebensjahr Verstorbene war zwischen 1969 und 1971 Erster Bürgermeister der alten Gemeinde Bockhorn sowie Gemeindeoberhaupt nach der Gebietsreform in den Jahren 1972–1978.
 

Heißes Feilschen um jedes einzelne Trumm Prügelholz – sichern des einst wichtigsten Brennstoffes

 

Es war ein guter Entschluss gewesen, dass er etliche Jahre vor der Hofübergabe an seinen Sohn, sich am Rande des großen Obstgartens ein solides Austragshaus hatte errichten lassen. Das dachte der Heimerbauer von Dillhofen so oft er davorstand und es wohlgefällig betrachtete. Er und seine Ehefrau, Jahrgang 1919 und 1924, hatten es gut darin – nicht vergleichbar mit dem spärlichen Austrag und dürftigen Wohnverhältnissen, in denen seine Eltern ihren einfachen Lebensabend verbrachten. Und vor allem genoss man an kalten Tagen die wohlige Wärme im ganzen Haus, das warme Wasser, jederzeit verfügbar in ausreichender Menge für Küche und Körperpflege. Und das alles zustande gebracht von einer automatischen Ölheizung im Keller. Damals, wenn seine Mutter warmes Wasser brauchte, konnte man es nur aus dem im Küchenherd eingebauten Wassergrand entnehmen, eine Waschschüssel voll, mehr nicht. Ganz zu schweigen, vom Gang zum „Häusl“ am anderen Ende des Hofes, meist nicht weit weg vom Misthaufen, zwecks einfacher Entleerung. War das Wetter einmal gar zu schlecht, die Kälte zu grimmig, die Nacht zu schauderhaft, ja dann musste man eben am nächsten Tag mit dem „Pottschamperl“ den gleichen Weg nehmen, um die Ereignisse der Nacht zu beseitigen. Damals – zu Beginn der Fünfziger  – war der Alltag eben noch nicht so komfortabel. Deshalb konnte auch die größte Menge an Brennmaterial nicht telefonisch oder per E-Mail geordert sonders musste anderweitig angeschafft werden: über die Holzversteigerungen. Ein Waldbesitzer im Holzland nahm einen größeren Holzeinschlag vor und machte das „Überholz“ und die Stöcke, nicht das Stammholz, auf diese Weise zu Geld. Diese Holzversteigerungen wurden mit Plakaten angekündigt. Als der Heimer eines Sonntags in die Kirche ging, sah er neben der gemeindlichen Anschlagtafel ein großes gelbes Plakat, das mit schwarzen Lettern verkündete:

 

„Am 7. November 1951 nachmittags 2 Uhr kommen aus der Dax-Waldung, Gemeinde Bockhorn, bei Riedersheim nachstehende Holzsorten zur öffentlichen Versteigerung: 31 Ster Scheit- und Prügelholz, 6 Stangen-Haufen, 43 Wiedhaufen, 30 Stangen, 16 Los Stöcke im Boden.“

 

Diese Plakate hingen nicht nur in der jeweiligen Gemeinde aus, sondern auch in den umliegenden Ortschaften wie Grucking, Tittenkofen, Langengeisling, Eichenkofen, sogar noch in Eitting – alles Dörfer, in denen nicht viel Brennholz zu finden war. „Wied“, das sind die Äste von Fichten und Tannen. 1 Ster ist ein Raummaß, 1mx1mx1m für aufgeschichtetes Brennholz entspricht etwa 0,65 cbm. „Des muaß i mir anschaun“ dachte der Heimer, und war am nächsten Tag schon im Holzschlag und besah sich das Angebot. Alles war sauber aufgearbeitet worden. Das Stammholz nicht zu knapp über dem Boden abgeschnitten, sodass am Stock noch eine Scheitellänge blieb.

 

Der Wied fiel nicht zu stark an, es war halt ein geschlossener Baumbestand gewesen, mit langen „schleißigen“ (langsam sich verjüngenden) Bäumen. Nur die Randbäume, auf einer Seite dem Wind und Rauhreif zugewandt, zeigten lange dicke Äste mit hohem Brennwert. Diese waren bei der Versteigerung immer recht begehrt, auch vom Zimmerer „Mooshäusl“ der aus ihnen die besten und zähesten „Spritzl“ (Sprossen) für seine Holz-Leitern anfertigte. In jedem, von den Waldarbeitern von Hand mühsam zusam-mengetragenen Wiedhaufen steckte ein „Stempen“ (zugespitzter Pflock) der am oberen Rand so abgeplattet war, dass man eine Zahl anschreiben konnte. Wenn z. B. die Zahl 4 zweimal erschien, so hieß das, dass diese zwei Haufen in einem Los versteigert wurden. Bei den Stöcken verfuhr man ähnlich. Mit ei-nem Nummerierhammer, mit dem auch das Stammholz gekennzeichnet wurde, schlug man auf den Stock eine Zahl und fasste, ähnlich wie beim Wied, mehrere Stöcke zu einem Los zusammen, je nach Stärke der Bäume, die darauf gestanden hatten.

 

Genauso zeichnete der Holzhauer das Scheit- und das nicht ganz so teuere Prügelholz. Wenn in der Nähe des Holzschlages noch eine Durchforstung gemacht und in die Versteigerung einbezogen wurde, stapelte man die schwächeren Stangen mit dem Wied auf Haufen und bot sie so zum Kauf an. Die stärkeren, entasteten fanden als Gerüst- und Einbindstangen immer einen Käufer. Mit „Einbindstangen“ wurden früher die Viehweiden, vor allem die „Jahrlingswoadn“, wo die jungen, jährigen Pferde sich austoben konnten „eingebunden“, also eingezäunt.

 

Die Abwicklung des ganzen Geschäftes lag damals bei uns in den bewährten Händen des „Brunner Steffe“. Er war ein Hochangesehener Mann und genoss das unbedingte Vertrauen von Verkäufer und Käufer. Stefan Brunner, Haumeister und Waldaufseher, Großhündlbach, Post Grünbach, steht auf der Rechnung, die er 1951 dem Waldbesitzer Dax stellte, als er das Holzgeschäft abwickelte. Ihm oblag es, den Schlag aufzunehmen, das Stammholz zu vermessen und es nach den bestehenden Richtlinien einzuordnen. Ebenso wurden die Wiedhaufen ihrem Wert nach eingestuft und für die Versteigerung der Grundpreis in eine Liste eingetragen. Genauso verfuhr er mit den Scheitern und Prügeln. Dann mussten in den umliegenden Dörfern die Versteigerungsplakate mit den nötigen Angaben ausgehängt werden, für jede Versteigerung in einer anderen Farbe, damit jedem augenfällig klar wurde: „Aha, des is wieder a andere!“

 

In den Tagen bis zum Ausgebot herrschte am Schlag ein reger Verkehr. Die Interessenten kamen meist mit dem Fahrrad, Autos waren noch selten. Sie schauten sich das Angebot an, gingen von einem Wiedhaufen zum anderen, prüften das sauber gespalten und gestapelte Scheitholz. Man legte sogar den Meterstab an, ob wirklich alles seine Richtigkeit hätte. Dann kam der Tag der Versteigerung. Die gemütliche Gaststube beim Wirt füllte sich mehr und mehr mit Gästen. Bier wurde aufgetragen und der eine oder andere zündete sich seine „Villiger Stumpen“ an, eine damals sehr beliebte Zigarrenart. Die Unterhaltung kam in Fluss, es wurde hin und her geredet und dass es halt wichtig wäre, wenn das Stammholz bald „ausg´schloaßn“ (ausgerückt) würde, damit man an den Wied usw. gut hinkäme und wenig Mühe mit dem Beladen und der Abfuhr hätte. Die Lage an der Straße wäre ja gut, das sei schon mal wichtig.

 

An einem einzelnen Tisch saßen der Versteigerer und der Besitzer vor ihren Unterlagen. „Jetzt moan i kunnt ma ofanga,“ schlug der Steffe vor, „mehra wern nimma kemma“. „Mir is recht, dann wird´s ned so spät. D´Leit wolln danach a no a wenig sitz´n bleib´n“ pflichtete der Eigentümer bei. Der Versteigerer stand auf, begrüßte die Gäste und gab der Hoffnung Ausdruck, dass alles gut laufen und jeder zufrieden sein möchte. „Also, Ihr wißt´s ja um was geht. Beim Wied wird auf´s Angebot um a Zehnerl draufg´steigert, bei de Stöck, Scheiter und Prügel um a Fuchzgerl. Beim Wied is a so g´richt, dass oa Los allweil a Fuada gibt, drum ham zwoa oder drei Haufa manschmal de gleiche Nummer.

 

Abfuhrtermin is da 7. Dezember, bloß für d´Stöck habt´s Zeit bis 1. März. Dann muaß alls heraust sei, s`Loch ordentlich zuagfüllt, dass ma Boschn draufsetzn kennan. Außaschiaßn von de Stöck is ned erlaubt.“ Gemeint war damit das Heraussprengen eines Stockes durch einen dafür geschulten Sprengmeister mit großkörnigem Schwarzpulver. Dass das natürlich die Arbeit des „Stockraitens“ (roden) sehr erleichterte, war nicht von der Hand zu weisen. Oft wurde der Stock dabei gleich in mehrere Stücke zerlegt, die sich dann leichter verladen ließen. Aber wenn die Ladung zu stark war, flogen nicht nur die Trümmer sondern auch die Erde, in der der Stock verwurzelt war und die fehlte dann, um das Loch wieder zu verfüllen.

 

Es blieb eine Vertiefung, in der sich das Regenwasser sammelte und die Feuchtigkeitsliebenden Binsen wachsen konnten. Den „Boschen“ behagte das nicht, sie brauchten zwar Feuchtigkeit zum einwurzeln aber kein immer wiederkehrendes Fußbad. War die Ladung zu schwach, gab es nur einen dumpfen „Rummser“ und der widerspenstige Stock blieb recht behaglich in seinem Bett sitzen. „Ja mei“, hat bei so was der Maurer Fritz – den Sommer über fleißiger Zimmerer und im Winter Stock-Sprengmeister – gesagt, „s´Wissen hät ma vorm Beten lerna müassn, dann tat ma se a diam (manchmal) leichter.“ „Und jetzt fang ma mit´m versteigern o, als erstes mit´m Wied,“ sagte der Steffe.

 

Nr. 1        2 Haufen                 Tax          9,00 DM                   Käufer:    13,00 DM

Nr. 2        2 Haufen                 Tax          9,00 DM                   Käufer:    10,60 DM

Nr. 6        2 Haufen                 Tax          9,00 DM                   Käufer:    11,20 DM… usw.

 

Die Angebote wurden bedächtig abgegeben, alles gut überlegt ob es auch wert war, dass man noch ein Zehnerl drauflegte! Alle 43 Haufen wurden abgesetzt, keiner musste ein zweites Mal ausgerufen werden. „Wenn´s a so weitergeht, kennan mir z´frieden sein,“  meinte der Waldbesitzer. Immerhin, die Summe der Aufwurfpreise war 188,– DM, der Erlös belief sich auf 275,90 DM.

 

„Jetzt pack ma d´Stöck, danach d´Scheiter,“ sagte der Haumeister. Die Stöcke ergaben insgesamt 16 Lose mit durchschnittlich 6 Stück pro Los. Daraus konnte man sehen, dass das Stammholz nicht besonders stark gewesen war, dafür aber waren sie auch leichter zu roden.

 

Nr. 1        7 Stück                    Tax          15,00 DM                Käufer:    22,50 DM

Nr. 2        6 Stück                    Tax          14,00 DM                Käufer:    24,50 DM

Nr. 3        6 Stück                    Tax          16,00 DM                Käufer:    26,00 DM

 

Und so ging es recht zügig weiter. Einige Partien waren recht lebhaft umkämpft und überschritten den Aufwurfpreis beträchtlich. Ob der Ausdruck „stocknarrisch“ (hartnäckiges Handeln) hierbei einmal seinen Ursprung fand? Der Erlös konnte sich auch hier sehen lassen. Veranschlagt: 208,– DM, eingenommen: 328,50 DM. Auch die Scheiter und Prügel fanden reges Interesse. Es wurde halt doch beachtet, dass man dieses Holz mit wenig Mühe sofort abfahren und aufarbeiten konnte. Es haben z. B. gesteigert:

 

Los-Nr. 37                               2 Ster      Tax          36,00 DM                Käufer     42,50 DM

Los-Nr. 38                               2 Ster      Tax          36,00 DM                Käufer     44,50 DM

Los-Nr. 50                               2 Ster  Prügel          30,00 DM                 Käufer     42,50 DM… usw.

 

Hier waren veranschlagt: 526,– DM – erlöst wurden: 623,– DM.

 

Jetzt waren noch 4 Stangenhaufen aus der Durchforstung nebenan, ein schwächeres Sortiment, an den Mann zu bringen. Auch sie fanden ihre Abnehmer. Bei einem Stückpreis von 2,– DM für die Stange und 10,– DM für einen Stangen-Haufen waren alle zufrieden und der Haumeister beendete seine Versteigerung. Anschließend ging jeder Käufer zum Waldbesitzer, um sein Ersteigertes gleich zu bezahlen. „Oans muaß i no bekannt geben“, so der Steffi „weil´s alle so guat g´steigert habt´s, halt der Verkäufer am alten Brauch fest und lasst die herkömmliche „Stockmaß“, und zwar zwoa Krüag, auf jeden Tisch hinstellen und oamoi derf da Wirt no nachschenkn“. Mit beifälligem Nicken wurde die frohe Botschaft angenommen und die Sitzfleische in der Gewissheit einer längeren Beanspruchung in die richtige Lage gerückt. Es galt ja auch, Kraft aufzutanken für die schwere Arbeit, die in nächster Zeit folgen musste. Es geschah schon, dass eine Runde länger sitzen blieb. Es war halt zu gemütlich, auch an einem Werktag mal im Wirtshaus zu bleiben, sein Bier zu trinken und über dies und jenes zu reden. „Wia war´s, wenn mir no a Maß auswatten tatn,“ schlug einer vor und bald darauf klatschten die Karten auf den Tsich, zeigten die „Kritischen“, also Spitz, Belle und Max, – Eichelsiebner, Schellnsiebner und Herzkönig – ihre beherrschende Stellung. Am anderen Tisch saßen noch der Brunner Steffe und der Waldbesitzer zusammen und rechneten ab. „Guat is ganga, hät´s ned glaabt. Neile, z´Rappoldskirch is zach herganga. Freili, dei Holz liegt a schee an da Straß und ma braucht ned so weit fahr´n. Grad für de Häuslmanna mit eahnane Ochseng´schpann spielt des scho a Rolln. Und des hat se a wieda bewahrheit, d´Stöck und da Wied müaß´n d´Holzarbeit zahl´n. Da hab i für dich d´Rechnung.

 

Aufarbeiten eines Waldhiebes:

 

82 fm Grubenholz       a              3,50 DM                   287,00 DM

43 Wiedhaufen          a              0,70 DM                    30,10 DM

31 Ster Brennholz       a              3,00 DM                    93,00 DM

6  Stangenhaufen      a               4,00 DM                    24,00 DM

30 Stangen               a               0,90 DM                    27,00 DM

Aufnahme, Verrechnung, Plakate 75,00 DM                 536,10 DM

20 % Versicherungskosten        107,20 DM =              643,30 DM

„Für d´Stöck und an Wied hast 604,– DM eing´nommen, also geht’s es naus! S´Stammholz konnst halt wegen de Granatsplitter nur ois Grubenholz verkaufn, weil da Sagler des ned zu Bauholz schneid´n kann.“

 

(Splitter von Granaten, ja wie kamen denn die in die Bäume? Im vorletzten Kriegsjahr hat ein amerikanischer Bomberverband über diesem Waldgebiet seine furchtbare Fracht abgeladen. Die Splitterbomben haben dem Wald arg zugesetzt. Die Bäume, die es überlebten, bluteten jahrelang an den Einschlagstellen der scharfkantigen, daumennagelgroßen Stahlsplitter Harz aus. Hier drang Feuchtigkeit ein und die Bäume fingen zu faulen an.)

 

Die Versteigerung war also vorbei. Das Wetter war trocken, ohne Frost und so sah man am nächsten Vormittag schon Leute auf dem Weg zum Holzschlage. Die Einen, die den Stöcken zu Leibe rücken mussten, kamen mit dem Fahrrad, die lange „Wiagnsag“ (Zugsäge) hatten sie zum Schutz gegen die scharfen Zähne mit einem alten Getreidesack umwunden und der Länge nach an´s Radl gebunden, im Rucksack waren verstaut die Holzhacke, Keile und Brotzeit. Dazu war am Gepäckträger die unverzichtbare, langstielige „Raithau“ mit der Quergestellten breiten Schneide, ein Spaten und die schwere „Schlegelhacke“ befestigt. Die Anderen, die bei den derzeit trockenen Wegverhältnissen ihren Wied nach Hause bringen wollten, mussten schon früh einspannen, um vor Einbruch der Dunkelheit mit der Fuhre wieder daheim zu sein. Am Holzplatz selbst achtete man sorgfältig darauf, dass der Wagen zum Beladen auf gutem festen Straßengrund stand, denn die schmalen eisenbereiften Holzräder schnitten bei Belastung allzu leicht tief in den Boden, sodass ihn auch die stärksten „Eunuchen“ (Ochsen) mit ihren dicken Köpfen oft nicht mehr herausbrachten. Da hat man halt den Wied, Ast für Ast, lieber selbst  zum Wagen getragen. Jetzt ging es im Holzschlag zu wie in einem Ameisenhaufen. Überall wurde gewerkelt, um das Ersteigerte bald nach Hause zu bringen. Daheim trat wieder Keil und Schlegelhacke in Aktion, fraß sich die Zugsäge durchs Holz, war Ausdauer und „Irxnschmalz“ (Schulterkraft) noch mal gefordert. Die zähen, widerspenstigen Stöcke kosteten viel Schweiß, sie gaben aber auch das beste Brennholz ab. Nicht umsonst sagte man.

 

Das Missgeschick mit dem Heiland

 

Ein kirchliches Ereignis, das besonders in unserer Pfarrei mit großem Gepränge gefeiert wurde, weit über die Pfarrei hinaus bekannt war und viel Zuspruch fand, das waren die Fastenpredigten an den sechs Fastensonntagen vor Ostern. Dazu wurden die Kirchenfenster mit schwarzen Tüchern verhangen.

Es herrschte auch bei mildem Märzwetter eine frostige, dunkle Kühle im Kirchenschiff. Die Gläubigen trugen dunkle Kleider, die Frauen langseidenen Kopftücher und wir Buben die Dreiquartel-Hosen mit schafwollenen Strümpfen. Das große Altarbild war im Hochaltar versenkt worden. Statt dessen sahen wir mit Bangen Jesus kniend im langen blauen Mantel am Ölberg, die Hände gefaltet, den Blick nach oben gerichtet, ein schmalsicheliger Mond schwebte im Hintergrund und der Organist Staudacher Schorsch intonierte auf der Orgel das Ölberglied: „Gethsemane zu deinen Höhen erhebet dankend sich mein Herz …“.

 

Wortgewaltige geistliche Herren kamen auch aus anderen Pfarreien und rüttelten das Gewissen ihrer Schäflein unten in den Kirchenbänken so gewaltig auf, dass ein Einnicken, das bei der herrschenden Dunkelheit in der Kirche so leicht gewesen wäre, nicht zu Stande kam. Nach der Predigt dann die Ölbergandacht und der Höhepunkt der ganzen Zeremonie: Die Heilandsfigur im Hochaltar begann sich nach vorne zu neigen und ging bis zum Boden nieder. Das geschah dreimal hintereinander und symbolisierte das Leiden unseres Erlösers in der Nacht vor seinem Tode. Beim dritten Mal schwebte dann ein Engel aus dem nachtdunklen Himmel hernieder, der ihm den Kelch des Leidens darbrachte. Er kam aber nie ganz zum Heiland hin und ich hatte den Eindruck, dass der Engel schiele. Wie froh waren wir, wenn die Kirche nach eineinhalb Stunden endlich zu Ende war und wir in die Wärme und Helligkeit eines Vorfrühlingstages hinauslaufen konnten. Die Schar der Gläubigen in ihren dunklen Gewändern strömte sodann eiligst vom Ort der Erbauung – so hoffte wenigstens der Herr Pfarrer – zum Ort der Erquickung, nämlich ins naheliegende Wirtshaus. In kurzer Zeit füllte sich die Gaststube im Erdgeschoss, aber sie reichte nicht aus, auch die Zechstube im Obergeschoss war bald voll mit Gästen. Der Wirt hatte gut vorgesorgt. Bier in irdenen Keferlohern und gläsernen Halbe-Krügln, dunkel und süffig, stand bald auf den Tischen. Dann kamen, und das nur an diesen Fastensonntagen, sonst das ganze Jahr nicht, die Laugenbrezen, eine Köstlichkeit, auf den Tisch. Wir Buben mussten sie beim Bäcker nebenan waschkorbweise holen, so reißenden Absatz fanden sie. Fünf Pfennig hat eine gekostet und für diese Rarität hat man gern eine Fastenpredigt bei einem Ohr rein beim andern raus gehen lassen. Wenn man sich heute vorstellt, dass man nur sechsmal im Jahr diese Laugenbrezen bekam! Uns Buben hat aber so eine Ölbergandacht trotz allem interessiert. Das feierliche Dunkel in der Kirche, das andachtsvolle Beten der Erwachsenen, besonders auf der Frauenseite und dann, wie schon gesagt, wenn leises Knarren ankündigte, dass der Heiland sich vornüber neigen wird. Das hat uns in den ersten Jahren schon sehr beindruckt und mäuschenstill werden lassen.

 

Da erübrigte es sich sogar, wie bei den anderen Gottesdiensten, dass der Kirchendiener mit gezwirbeltem Schnurrbart und strenger Amtsmiene hinter uns stand und bei uns schwatzhaften Buben für Ruhe sorgte. Wehe, man hätte den Kirchendiener ignoriert. Da ist sogar während der Messe der Watschenbaum umgefallen und mit hochroten Ohren hat der Betroffene gewünscht, die Kirche möge doch noch lange dauern, denn das wusste er: das in der Kirche war nur ein Vorspiel. Der Hauptakt der wird daheim gespielt, vom Vater und da bleibt es mit Sicherheit nicht bei einer „Dachtl“. Da konnte schon der erste Teil eines Kirchenliedes als Vorgabe dienen: „O Haupt voll Blut und Wunden“. Hatte man doch mit seinem schlechten Benehmen die ganze Familie getroffen, noch dazu in der Kirche. Das verpflichtete zur Strafe. Eines hat den Stocker Hias und mich sehr interessiert: Wie geht es zu, dass sich der Heiland, immer wenn der Mesner Staudacher hinter dem Altar verschwindet und der Pfarrer ein bestimmtes Wort spricht, langsam vornüberneigt? Das leise Knarren dabei hat die Sache noch geheimnisvoller gemacht. Dem mussten wir auf den Grund gehen: Eines Tages betraten wir beide das Haus Gottes. Wir vergewisserten uns zuerst, dass kein stiller Beter im Kirchengestühl saß, dann gingen wir auf Geldsuche. Und warum? Der Begriff Taschengeld war für uns Kinder damals noch nicht erfunden und wir hätten uns doch auch so gerne beim Kramer einen Waffelbruch gekauft. Fünf Pfennig hat er gekostet, aber woher die nehmen? Und so haben wir die Kirchenbänke abgesucht nach „Fuchsen“, Ein- und Zwei-Pfennigstücke, ab und zu wurden wir auch fündig. Grundlage dieser Goldgrube war der Brauch des Opfergehens. Es machte nicht der Mesner mit dem Klingelbeutel die Runde, sondern Männer und Frauen gingen im Opfergang zum „Speisgitter“ und legten ihr Opfer, die Fuchsen, in einen Zinnteller. Weil die Männer ihr Bargeld statt in einem Geldbeutel nur lose in der Hosentasche trugen, ist ihnen beim Herausklauben – im Bemühen ja keine Zweiring statt eines Pfennigs zu geben – schon mal ein Geldstück in die Kirchenbank gefallen. Aufheben, nein das ging nicht! Wie hätte das ausgesehen, wenn da Baua deswegen unter den Betstuhl gekrochen wäre. So kamen wir auf diese Weise hie und da doch zu einem Waffelbruch. Nachdem unser wirtschaftliches Unternehmen beendet war, gingen wir zum eigentlichen Zweck unserer nachmittäglichen Expedition über. Nochmal einen Blick rundum – die Luft war rein! Jetzt wollten wir uns hinter den Altar begeben, der uns in seiner stillen Pracht doch ein wenig Furcht einflößte. Wir nahmen all unseren Mut zusammen und schlüpften schnell hinter den Vorhang auf der rechten Seite des Altars. Hier war eine Leiter, die zu einer Bühne führte, und da stand, nein kniete der Heiland. Jetzt wär uns das Herz doch bald in die Hos´n gerutscht, so groß und ehrfurchtgebietend war die Gestalt im weiten, blauen, goldbesäumten Mantel. Der aber hat tüchtig gestaubt, als ihn der Hias zurückschlug, um zu sehen, was sich darunter verbarg. Und dann war´s mit der Ehrfurcht vorbei, auch die Furcht war weg: Ein Lattengerüst mit aufgesetztem Kopf!

 

Wir bekamen Mut. Wir fanden den Strick, mit dem man den Engel, der über dem Heiland schwebte herunterlassen konnte. „Den lass ma amoi richtig fliagn!“ Er flog prächtig. Nun entdeckten wir eine Kurbel für den Heiland, die der Mesner schlecht geschmiert hatte und die deshalb das knarrende Geräusch verursachte. „De probiern ma a!“

 

Die Gestalt des Heilands, das Lattengerüst, begann sich zu neigen, langsam, feierlich. „Und iatz Hias, laß´n wieda aufsteh!“ Er tat es auch, langsam, gemessen. „Du, des geht a schnella!“ Tatsächlich, runter rauf! Wir dachten nicht mehr an die Heiligkeit des Ortes – noch mal runter und klacks – er ging nicht mehr rauf! „Probier´s no a moi, Hias, so ken ma den Heiland ned lass´n!“ Aber es ging nicht. Irgend etwas musste ausgerastet oder gebrochen sein. Jetzt kam auf einmal auch die Furcht wieder über uns. Wir sahen uns schon in der Hölle schmoren. Schnell rutschten wir die Leiter runter, rannten zur Kirchentür, warfen doch noch einen Blick zurück in der Hoffnung: Vielleicht ist er aufgestanden, er kann doch nicht so lang da liegen. Aber der Heiland lag noch immer. Was wird der Mesner, was der Pfarrer sagen? Wir trauten uns nicht gleich auf die Straße und schon gar nicht nach Hause.

 

Hinten im Friedhof, an den Grabstätten für die unschuldigen Kinder, saßen wir unter einem Hollerbusch und fassten langsam Mut: Der liebe Gott kann uns doch nicht so bös sein, sein Sohn war´s ja nicht. Es war ja bloß ein Lattengestell mit einem Kopf drauf! Vielleicht geht´s mit ein bisserl Fegfeuer ab. Daheim gab´s keine Strafe, die Eltern erfuhren nichts. Und der Mesner hat in der Wirtschaft erzählt, dass er den Heiland am Boden liegend fand, es hätte sich an der Kurbel was verschoben, das er aber wieder repariert hätte. Als wir diese frohe Botschaft hörten, fiel uns ein Stein vom Herzen und wir vergaßen Hölle und Fegfeuer.


Die Archivverwaltung stellt Ihnen schriftliche Zeugnisse aus der Zeit zwischen 1945 und 1953 zur Geschichte unserer Gemeinde vor. Erleben Sie mit Karl Heilmaier, dem damaligen Hauptlehrer, eine Zeitreise in die Lebens- und Arbeitswelt unserer bäuerlichen Vorfahren.

30. Mai 1945

Nachmittags ging über die Gemeindeflur und deren Umgebung ein schweres Hagelwetter nieder. Die Kornfelder, die schon in schönster Blüte standen, wurden größtenteils vernichtet. Der Schaden schwankt zwischen 40 und 80 Prozent.

In den Weizenfeldern war der Schaden nicht so groß, da der Weizen in der Entwicklung noch nicht so weit fortgeschritten war.Auch die übrigen Felder wurden stark mitgenommen. Bei manchen Häusern wurden durch die Hagelschäden, die teilweiße über taubeneiergroß fielen, Dachplatten zerschlagen.

31. Mai 1945

Infolge der Niederlage Deutschlands wurden im Auftrage der amerikanischen Militärregierung durch den neuen Landrat in Erding, Herrn Dr. Max Lehmer, der Bürgermeister und der Gemeinderat neu aufgestellt.

Zum Bürgermeister wurde ernannt: Korbinian Hochholzer, Bauer in Riedersheim 10. Als Beigeordnete bzw. Gemeinderäte wurden ernannt: 1. Beigeordneter Martin Reslmeier, Bauer in Unterstrogn 20; zweiter Beigeordneter Egid Pichlmaier, Bauer in Unterstrogn 20; als Gemeinderäte Lorenz Lex, Bauer in Emling 12, Balthasar Biller, Bauer in Bockhorn, Matthias Neumaier, Landwirt in Hecken. Zum Ortsobmann des Bauernverbandes wurde bestellt: Sebastian Wiesmaier, Bauer in Hecken 8. Der Gemeindeschreiber Hauptlehrer Karl Heilmaier und der Gemeindekassier Bauerstochter Therese Biller, blieben.

 

3. Juni 1945

Die herkömmliche Fronleichnamsprozession fand in feierlicher Weise im Freien statt.

 

6. Juni 1945

Aus dem Kriegsgefangenenlager in Emling, in dem sich deutsche Kriegsgefangene befinden, halten die Entlassungen an.

Viele durchwandernde Soldaten suchen hier teils Arbeitsplätze teils Quartier.

12. Juni 1945

Am Freitag, 8. Juni 1945 kurz nach 20 Uhr abends, ging wieder ein schweres Hagelwetter nieder. Die Felder und Gärten wurden fast zu 100 Prozent verwüstet, manche Fensterscheiben eingeschlagen. Die Hagelkörner fielen in Größe von Taubeneiern.

Besonders schwer getroffen wurde die Ortschaft Bockhorn, Ober- und Unterstrogn, Emling und teilweise Riedersheim.

In der Gegend um Hecken und Mauggen entstand fast kein Schaden.

Laut einer Verfügung der Militärregierung und des Landrates Erding müssen bis Dienstag, 12.06.1945, Ausländer aus der Gemeinde fort sein. Gestern sollten die 49 Ungarn, die hier im Schulhaus als Flüchtlinge untergebracht sind, durch amerikanische Militärpolizei ins Lager nach Erding gebracht werden. Da aber das dortige Lager überfüllt ist, bleiben sie bis auf weiteres noch hier. Die polnischen Zivilarbeiter wollen bei den Bauern bleiben und arbeiten. Sie fürchten nämlich, dass sie einrücken müssen, wenn sie zurückkehren.

26. Juni 1945

Heute wurden auf einem Kartoffelacker in Riedersheim die ersten Kartoffelkäferlarven gefunden. Dies ist das erste Auftreten des Kartoffelkäfers in der Gemeinde.

1. Januar 1946 – Rückblick auf das Frühjahr 1945 

Das Frühjahr des Jahres 1945 war gekennzeichnet durch fast dauernde Fliegeralarme. Nach den Fliegerangriffen auf Erding wurden auch über unseren Ortschaften Bomben abgeworfen, wobei zwei Kinder  getötet wurden und ein Schulkind einen Arm verlor. Am 1. Mai zogen amerikanische Panzer von Mauggen her in Bockhorn ein. Auf dem Kirchturm und an den Häusern wehten zum Zeichen der kampflosen Übergabe weiße Fahnen. Die Häuser wurden nach Waffen durchsucht und da sehr schlechtes, nasskaltes Wetter war, waren die Häuser voll amerikanischer Soldaten. Die Wäsche, Kleider usw. wurden aus den Kästen geworfen und Schmucksachen und Uhren wurden von den Soldaten teilweise mitgenommen.

11. April 1946

Wegen des Mangels an landwirtschaftlichen Arbeitskräften fand am Mittwoch 3. April 1946 durch eine Kommission des Arbeitsamtes Erding eine Überprüfung der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte statt. Es sollten aus Betrieben, die eine Arbeitskraft abgeben können, ein Ausgleich vorgenommen werden. Besonders war auch zu überprüfen, ob nicht verschiedene Flüchtlinge bei den Bauern als Arbeitskräfte eingesetzt werden können. Einige wurden ausgewählt. Das Gesamtergebnis brachte  keine wesentliche Besserung.

 

Hungersnot

Wegen der drohenden Hungersnot sind die Bauern aufgefordert worden, nochmals zusätzlich Getreide und Kartoffeln anzuliefern. Es sind in der Gemeinde zur freiwilligen Ablieferung gemeldet worden: 80 Ztr. Weizen, 22 Ztr. Roggen, 58 Ztr. Gerste, 42 Ztr. Hafer und 371 Ztr. Kartoffeln.

 

24. April 1946 Flüchtlinge

Am Palmsonntag 14. April 1946 trafen aus dem Durchgangslager in Dachau kommend 62 Personen aus der Tschechoslowakei ein.

31 wurden beim Wirt in Bockhorn und 31 beim Wirt in Emling in Flüchtlingslagern untergebracht. Diese ausgewiesenen Volksdeutschen erzählten von den Drangsalen, denen sie ausgesetzt waren. Sie durften aber ihre Kinder und Wäsche mitnehmen, außerdem bekam jede Person, gleichviel ob Kind oder Greis 1000 Mark mit. Diese Flüchtlinge sollen nun in der Gemeinde untergebracht werden und ihnen Arbeit verschafft werden.

 

Unsicherheit auf dem Lande

Wegen der Unsicherheit auf dem Lande hat die amerikanische Militärregierung ab 23. April angeordnet, dass bei Nacht Nachtwachen aufgestellt werden. Alle verdächtigen Personen sollen sogleich der Polizei in Grünbach gemeldet werden.

 

Entnazifizierung

Zurzeit werden alle Einwohner über 18 Jahren Meldebögen zum Gesetz zur Befreiung vom Nationalsozialismus und Militarismus ausgegeben. Jede Person muss zwei Meldebögen ausfüllen, die an die Spruchkammer in Erding geschickt werden. Das Volk spricht vom Zeitalter des Melde- und Fragebogens.

 

Flüchtlinge

Für die aus der Tschechei kommenden Volksdeutschen müssen nun Flüchtlingsausweise, kurz Flüchtlingspässe genannt, durch die Gemeinde ausgestellt werden.

 

27. Mai 1946

Die Flüchtlinge sind nun auf die Privatquaitiere verteilt. Das war für den Bürgermeister Korbinian Hochholzer eine schwere Arbeit, da die Leute nicht gerne Fremde aufnehmen.

 

Historische, wissenswerte Daten … Zum Vergleich eine Zeitreise in das Jahr 1946 aus den Niederschriften von Karl Heilmaier

 

Rohkost mit Ergänzungen

Mittagessen: Obst, Nüsse, rohe Mohrrüben, Kartoffeln.

Abendessen: Obst, Nüsse, Grünkernflocken m. Milch, Brot, Butter, Liptauer Käse.

Mittagessen: Obst, Nüsse, Mangoldsalat, Kartoffeln.

Abendessen: Nüsse, Sauerkraut, Gerstenflocken m. gequ. Birnen, Brot, Tomatenbutter, Schnittlauch.

Mittagessen: Obst, Nüsse, Weißkohlsalat, Kümmelkartoffeln.

Abendessen: Obst, Nüsse, Feldsalat, Brot, Quark m. Zwiebeln.

Mittagessen: Obst, Nüsse, Sauerkraut m. in Öl  ged. Zwiebeln, Kartoffeln.

Abendessen: Obst, Nüsse, Haferflocken  m. gequ. Sultaninen, Brot, Kräuterbutter, Rettiche.

Mittagessen: Obst, Nüsse, roher Kohlrabi, Schwenkkartoffeln.

Abendessen: Nüsse, Endiviensalat, Weizenflocken m. Milch, Brot , Butter, Kochkäse.

 

Speisezettel für November

Beispiele für Mittag- und Abendessen

Mittagessen: Obst, Müsse, Gemüseauflauf m. Schnittlauchtunte, Flädlesuppe.

Abendessen: Sauerkraut, Reisrollen m. Pilztunte, Brot, Kräuterschmalz.

Mittagessen: Obst, Nüsse, ged. Kohlrüben, Kartoffeln, Hirsespeise m. Fruchtstaft.

Abendessen: Ger. Mohrrüben, Himmel und Erde, Brot, Butter, Schnittlauch.

Mittagessen: Obst, Nüsse, überbackene Schwarzwurzeln, Kartoffeln, Tomatensuppe.

Mittagessen: Nüsse, Weißkohlsalat, ged. Weißkohl, Kartoffeln.

Abendessen: Apfelmus m. Preisselbeeren u, Quark, Brot, Butter, Rettich, Käse.

Mittagessen: Obst, Nüsse, ger. Mohrrüben, ged. Mohrrüben, Kartoffeln, Schweizer Reis m. Fruchttunte.

Abendessen: Obst, Bechamelkartoffeln m Rote Rübensalat, Brot, Meerrettichbutter.

Mittagessen: Obst, Nüsse, ged. Grünkohl, Kartoffeln, Nudelsuppe.

Abendessen: Sauerkraut m. Öl u. Zwiebeln, Fliedersuppe, Brot, Butter, Käse.

Mittagessen: Obst, Nüsse, geback. Selleriescheiben m. Tomatentunte, ged. Blumenkohl m. brauner Butter, Kartoffeln.

Abendessen: Obst, Tomatensuppe, Brot

 

27. Juni 1946 – Rückblick auf das Frühjahr

Die Heuernte ist nun in vollem Gang. Im April und Mai war ein äußerst trockenes Frühjahr, in dem es fast nicht geregnet hat.

Die Bauern fürchteten schon, es könnte kein Heu geben und das Getreide könnte abstehen.

Das war aber nicht der Fall.

Das Heu ist zwar etwas weniger, aber das Getreide steht so schön, wie es schon viele Jahre nicht mehr gestanden ist. Kornhalme findet man mit fast 2,50 m Höhe. Dabei ist das Getreide schön stehend und nicht von schweren Gewitterregen eingeschlagen und am Boden liegend.

Im Juni war allerdings ein sehr schlechtes Wetter, es hat fast den ganzen Monat geregnet, sodass die Bauern, die zu früh mit dem Heuen begonnen haben, schlechtes, wenn nicht verfaultes Heu heimbrachten. Es gab aber auch einzelne Bauern, die schon fast ganz eingeheut hatten.

Auch Kartoffeln haben sich heuer sehr schön entwickelt. Die Felder sind vom Kartoffelkraut geschlossen und auch hier ist mit einer guten Ernte zu hoffen. Kartoffelkäfer wurden bis jetzt nur ein Einziger auf einem Feld in Hecken gefunden.

 

Dagegen ist ein schlechtes Bienenjahr. Wegen der Trockenheit konnten die Bienen im Mai noch nicht viel eintragen und den Juni hat es sowieso verregnet. Es sind daher Honig und Bienenschwärme bis jetzt wenig.

 

Die im Juni 1946 durchgeführte Bodenerhebung ergab in der Gemeinde Bockhorn:

Ackerland                                                                                      799,56 ha

Hausgärten                                                                                     14,86 ha

Obstanlagen                                                                                     3,61 ha

Wiesen                                                                                        382,76 ha

Viehweiden                                                                                    96,94 ha

Waldungen                                                                                  162,43 ha

Ödland                                                                                           4,32 ha

Moorflächen                                                                                    2,91 ha

Gebäude, Höfe                                                                              21,85 ha

Wegeland                                                                                     25,82 ha

Friedhöfe                                                                                       0,31 ha

Flugplätze                                                                                    15,09 ha

Gewässer                                                                                    15,60 ha

Gemeindefläche gesamt                                                      1.546,06 ha

 

davon bebaut mit …

…Winterroggen                                                                      72,34 ha

Sommerroggen                                                                        1,36 ha

Winterweizen                                                                      187,53 ha

Wintergerste                                                                        10,03 ha

Sommergerste                                                                    110,50 ha

Hafer                                                                                136,50 ha

Winter- Mengegetreide*                                                        1,19 ha

Sommer- Mengegetreide*                                                      0,17 ha

Futtererbsen                                                                       2,85 ha

Acker-/Pferdebohnen                                                           7,68 ha

Wicken (Körner)                                                                 1,37 ha

Spätkartoffeln                                                                   58,56 ha

Frühkartoffeln                                                                     1,75 ha

Zuckerrüben                                                                       0,22 ha

Runkelrüben                                                                      42,41 ha

Futterkohl                                                                          1,37 ha

Gemüse (Feldbau)                                                               7,45 ha

Winter-Raps                                                                       8,00 ha

Flachs                                                                                0,41 ha

Rotklee                                                                          125,87 ha

Kleegras                                                                            3,58 ha

Luzerne                                                                            1,19 ha

Grünmais                                                                           0,73 ha

Wicken (Grünfutter)                                                         13,58 ha

Hülsenfrüchte                                                                   0,80 ha

sonstige Futterpflanzen                                                      0,51 ha

Ackerland gesamt                                                      799,56 ha

 

*Mengegetreide ist wohl eine Getreidevermischung aus Gerste, Hafer und „Dwelck“ (Roggentrepse)

 

Juni 1946

Wahl zur Verfassungsgebenden Landesversammlung

Am Sonntag, 30.06.1946 fand im Schulhaus zu Bockhorn die Wahl zur Verfassungsgebenden Landesversammlung statt. Wahlvorsteher war der 1. Bürgermeister Korbinian Hochholzer; Stellvertreter der 2. Bürgermeister Egid Pichlmair, Bauer in Oberstrogn; Schriftführer der Bauer Sebastian Wiesmaier in Hecken; Beisitzer die Gemeinderäte Balthasar Biller, Bauer in Bockhorn; Sebastian Neumaier, Wasserinstallateur in Riedersheim und Josef Glück, Schneidermeister in Unterstrogn. Als Wahlberechtigte sind in der Wählerliste eingetragen: 143 Männer und 235 Frauen (=378), außerdem gaben aus fremden Gemeinden kommend zwei Männer und eine Frau einen Wahlschein ab. Sodass es insgesamt 381 Wahlberechtigte waren.

 

Abgestimmt haben: 122 Männer und 178 Frauen = 300

Ungültige Stimmen 6

 

Von den 294 gültigen Stimmen entfielen auf:

 

Christlich Soziale Union                       Dr. Max Lehmer Erding        256

Sozialdemokratische Partei                  Christian Roith                     25

Kommunistische Partei                       Alfred Riedl                           1

Demokratische Partei                         Frau Dr. Wenger                   1

Wirtschaftliche Aufbauvereinigung       Alfred Loritz                        11

 

Wahlberechtigt waren alle Männer und Frauen vom 21. Lebensjahr ab, wenn sie sich seit einem Jahr in Bayern aufhielten. Es konnten also auch die Evakuierten, ja sogar einige Norddeutsche wählen. Ausgeschlossen vom Wahlrecht waren die ehemaligen Parteigenossen der NSDAP, soweit sie schon vor dem 1.5.1937 zur Partei gegangen waren, sowie die Mitglieder der SS, SA und des Frauenwerkes und Führer der Gliederungen der Partei. Die Wahl verlief ohne Zwischenfälle.

Dienstag, 2. Juli 1946 – Ernte

Wegen des vergangenen milden Winters und der Trockenheit im Frühjahr scheint heuer die Ernte früher zu kommen. Zurzeit ist die Heuernte in vollem Gange. Gestern am 1.7.1946 wurde bereits die Wintergerste gemäht und unser Nachbar der Schollbauer Egid Pichlmair in Bockhorn hat sogar schon Wintergerste gedroschen. Das Getreide steht heuer sehr schön.

Dienstag, 2. Juli 1946

Religiöses Leben

Heute ist in Bockhorn der große Frauentag (Mariä Heimsuchung). Nach feierlichem Hochamt bei herrlich heißem Wetter fand die Prozession im Freien statt, bei der die vier Evangelien wie an Fronleichnam gesungen wurden. Wir führten in der Kirche die Lorettomesse von Vinzenz Goller auf, sangen zum Offertorium das Haec Dies von Kaspar Ett und als Hymnen bei der Prozession die Fronleichnamsgesänge komponiert von Oberlehrer Felizian Reiser, früher in Schröding – Niederstraubing.

 

9. Juli 1946

In der Nacht vom Freitag, 5.7. auf 6.7. herrschte hier von abends 23h bis 1h morgens ein sehr scharfes Gewitter, wie man es seit Menschengedenken noch nicht wahrgenommen hatte. Blitz folgte unaufhörlich auf Blitz. Dabei hat es gegen 11h oder etwas später im neu erbauten Stadel des Bauern Egid Pichlmiar in Oberstrogn 20 eingeschlagen. In wenigen Minuten stand der ganze Stadel in Flammen und brannte vollständig nieder. Es war ein großes Glück, dass es ungewöhnlich stark geregnet hat und dass kein starker Wind ging, sonst hätte das Feuer sich noch mehr Gebäude mitgenommen. Im Stadel verbrannte das ganze Kleeheu, sowie Wintergerste, die der Bauer am selben Tage noch ganz eingefahren hatte.

In den folgenden Tagen setzte ungewöhnlich starkes Regenwetter Tag und Nacht ein, dass die Strogn in Emling, Ober- und Unterstrogn Hochwasser führte. In Unterstrogn ging das Hochwasser bis zum Brückengeländer der Holzbrücke und bis in den Hof des Bauern Peter Maier (Moar), in Oberstrogn von der Grünbacher Straße bis zum Wagnerbauern Egid Pichlmair, ähnlich war es in den anderen Ortschaften, die an der Strogn liegen. Heute (9.7.1946) ist schon wieder so starkes Hochwasser, dass man von Unter- und Oberstrogn nur mit Fuhrwerken über die Strognbrücken fahren kann, da das Wasser über die Brücken geht.

Ich habe mit dem Wagnerbauern Egid Pichlmair über das Brandunglück gesprochen. Er erklärt sich das Einschlagen des Blitzes so: Im Stadel war ein Greifer zum Heuaufziehen und Abladen eingebaut. Die Gabel des Greifers stand in der Mitte des Stadels mit den Zinken nach aufwärts, weil der Greifer für die Arbeit am nächsten Tage schon hergerichtet war. Durch das starke Regnen meinte er, könnte etwas Feuchtigkeit auf die Zinken durchgesessen sein, denn in diese Gabelzinken schlug der Blitz ein. Er fuhr dann auf der Schiene des Greifers im Stadel fort und entzündete so den ganzen Stadel. In den Dachplatten über den Greifzinken war durch den Blitzschlag ein Loch in der Größe eines Quadratmeters entstanden. Seine Frau hat das Einschlagen nämlich zufällig gesehen, weil sie mit den Kindern in der Kammer wach auf dem Bett lag, sodass sie zum Fenster hinaussah.

Ein Jahr später … im Juni 1947

Die Heuernte ist in vollem Gang, man kann sagen, sie geht schon ihrem Ende entgegen. Heuer ist ein ausgesprochen trockener Sommer, in den letzten acht Wochen hat es fast gar nicht geregnet, auch waren keine besonderen Gewitter. Die Folge ist, dass das Bodengras sehr wenig ist und dass es überall an Grünfutter mangelt. Andererseits bringen die Bauern das Heu sehr gut nach Hause. Alles hofft, dass nun wieder mehr Regen fällt und dass dann die Grummeternte desto reichlicher ausfällt. Das Getreide steht unterschiedlich. Einerseits ist ziemlich viel ausgewintert, andere Getreide, besonders Roggen und Weizen, stehen teilweise sehr schön und wurden, da keine schweren Regen und Gewitter waren, nicht eingeschlagen.

27. Juni 1947 – Hühnerpest

Sehr häufig tritt heuer die Hühnerpest auf. Die Tiere bekommen einen blauen Kamm, fressen nicht mehr, stehen krank umher und schon am nächsten Tag sind die verendet. Er wurden zwar – ich glaube, es war im Frühjahr – in Bockhorn die Hühner gegen die Hühnerpest geimpft –  das hat aber nichts geholfen. Ich vermute jedoch stark, dass es gar keine Hühnerpest ist. Die Bauern sagen, die Hühner hätten einen entzündeten Kropf und der ganze Eierstock würde zu Wasser, das beim Öffnen sehr stinke.

Kartoffelkäfer

In Riedersheim wurden ziemlich viel Kartoffelkäfer gefunden. Auch in Hecken soll er wieder aufgetreten sein. Morgen ist Kartoffelkäfer-Suchtag!

23.07.1948

Die Ereignisse überstürzen sich und schon nach wenigen Wochen weiß niemand mehr so recht, was eigentlich war und was sich zutrug. Viel weniger noch werden die folgenden Geschlechter genauere Kenntnis haben von den Schicksalen ihrer Vorfahren. So sollen denn diese Zeilen das Wichtigste festhalten, um den Kommenden von den Nöten und Freuden zu berichten, die hinter ihnen liegen. Sie werden dann manches leichter verstehen und ihr Urteil gerechter bilden. Daraus ergibt sich von selbst, dass ich hier die wichtigsten Ereignisse so objektiv wie es menschlich möglich ist, aufzeichnen werde. Freilich eine vollkommen objektive Geschichte gibt es nicht, denn schon das, was oder was nicht aufgezeichnet wird, wirft einen Blick auf die Einstellung des Berichters.

Dennoch will ich versuchen allen gerecht zu werden und mein eigenes Urteil so weit wie möglich zurückdrängen. Dass all dies, was hier niedergeschrieben wird, auch der Wahrheit entspricht, dafür bürge ich. Oft sind auch umlaufende Gerüchte und Witze für die Stimmung des Volkes aufschlussreich; ich werde daher auch diese gelegentlich mit aufnehmen, dabei aber ausdrücklich betonen, dass es sich um ein Gerücht oder einen Witz handelt. Wenn ich noch etwas aus früheren Zeiten erfahren kann, so soll auch dies unter Beifügung des Namens der Quelle des Bürgen oder Erzählers niedergelegt werden.

Ich hoffe, dass sich darunter manches befinden wird, was des Lesens wert ist. Betonen möchte ich noch, dass ich kein Schriftsteller bin und auch keiner sein will. Diese Zeilen sind nicht als Grundlage für ein Buch geschrieben. Sie wollen nur die Ereignisse, wie sie sich im Dorfe abspielen, festhalten. Unter Dorf verstehe ich die gesamte politische Gemeinde Bockhorn und deren Umgebung, soweit sie für das hiesige Leben und Treiben bedeutungsvoll ist.

Erst heute, am Freitag, 23. Juli 1948, ist es mir wegen der Papierknappheit gelungen, dieses Buch aufzutreiben. So kann ich also die Ereignisse seit 1945 nur kurz so verzeichnen, wie ich sie mir auf Zettel notiert habe.

 

Mögen diese Zeilen dazu betragen, die Liebe zur Heimat zu stärken und zu erhalten, mögen sie besonders aber dazu beitragen, dass unter den Menschen der Hass und Neid wieder schwindet und sie sich wieder in christlicher Nächstenliebe verstehen und gegenseitig beistehen. In diesem Sinne widme ich diese Aufzeichnungen allen Einwohnern der Gemeinde Bockhorn.

 

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